12.06.2008

Wie man einen Tornado überlebt...

In letzter Zeit erreichen mich immer wieder Emails von besorgten Freunden, die in den Nachrichten von dem Wetter im Mittleren Westen gehört haben.

Bäcker M. aus G. schreibt:
"... hier mal kurz und knapp gefragt, ist viel von Wisconsin abgesoffen oder war es nur in gewissen Ortschaften???"

Freundin W. aus O. ist auch besorgt:
"Steht Dein Haus noch?"

An alle die sich um mein Haus und den Rest von Wisconsin Sorgen gemacht haben: Ja, es steht noch, Wisconsin ist noch nicht (ganz) abgesoffen und wie durch ein Wunder lebe ich auch noch. Allerdings habe ich daran auch schwer gearbeitet und heute 2 Stunden während eines Tornados mit 3 anderen Leuten unter einem kleinen Schreibtisch in einem dunklen Hinterbüro gehockt...

Es fing alles damit an, dass meine Freundin S. neue Schuhe brauchte. Wer mich kennt, weiß, dass ich niemals eine gute Möglichkeit zum Shoppen auslassen würde. Also, auf ging's zur Outlet Mall.

Vielleicht hätten wir schon umdrehen sollen, als es so stark zu regnen anfing, dass ich am Rand der Interstate anhalten musste. Hmmm. Oder spätestens als man die Interstate wegen Überflutungen sperrte...

Aber wir haben es nicht getan. Wir sind nicht umgekehrt.

Wir waren auf einer Mission. So ein paar kleine Überflutungen und Unwetterwarnungen können sich nicht zwischen zwei Frauen und dem Verlagen nach silberne Sommersandalen mit hohe Absätze drängen. Shopping ist wie ein Überlebensinstinkt, der einen immer vorwärts treibt. Bei uns Frauen ist das hormonell bedingt.

So kamen wir also irgendwann bei der Outlet Mall an und haben es auch tatsächlich geschafft durch ungefähr 10 Geschäfte zu bummeln, als plötzlich die Sirenen losheulten und man im 11. Geschäft die Tür hinter uns verriegelte. Wir wurden darüber aufgeklärt, dass wir uns mitten in einer Tornadozone befanden und für die nächsten 45 Min. besser im Laden bleiben sollten bis der Tornado vorbeigezogen sei.

Gefangen in einem Geschäft. A dream come true - wenn wir nicht gerade in einem Kinderbekleidungsgeschäft gewesen wären.

Bevor ich demnächst noch mehr besorgte Emails bekomme:
Nein, der Klapperstorch zieht keine Kreise über meinem (noch) unbeschädigten Haus und auch bei meiner Freundin hat er noch nicht zum Landeanflug angesetzt. Aber es gibt da ja ein paar Kinder im Freundes- und Verwandtenkreis, die demnächst Geburtstag haben...

Während meine Freundin genervt am Legotisch Platz nahm und die Minuten zählte, bis der Tornadoalarm wieder aufgehoben werden sollte, nutzte ich die Zeit sinnvoll, um meine neueste Mission zu planen: Sämtliche europäische Verwandtschaft im Alter von 5 Jahren und darunter mit amerikanischer Kindermode aus chinesischer Herrstellung auszustatten. Die Mission wäre auch fast geglückt, wenn nicht plötzlich die Lichter zu flattern angefangen hätten und eine hysterische Verkäuferin uns Hollywood-reif befohlen hätte:

Take cover! The Tornado is coming right at us!

So schnell schien er aber doch nicht zu kommen, denn sie hatte noch genug Zeit, uns durch einen Lagerraum in ein winziges Büro im Ladeninneren zu führen.

Als Studentin habe ich ja schon viele überfüllte Büros gesehen. Auch "kreatives Chaos" ist kein neues Konzept für mich. Besagtes Büro war allerdings so winzig und voller Ramsch, dass wir erst den Bürostuhl und ein paar Kisten rausräumen mussten, bevor wir zu viert in diesen Schuhkarton von Raum passten. Überall waren Regale und Kisten mit Krimskrams und Ordnern. Eine rechteckige Hallogenlampe baumelte nur noch durch zwei schwache Schrauben gehalten von der Decke. Normalerweise habe ich ja keine Probleme mit kleinen Räumen, schließlich wohne ich ja auch in einer Studentenbude, aber in diesem Büro hätte ich auch ohne Tornado Angst gehabt, dass mir jeden Moment etwas auf den Kopf fällt.

Naja, ich konnte noch gerade eben das Chaos über mir begutachten, da fiel auch schon der Strom komplett aus und die Verkäuferin meinte, wir sollten uns doch alle unter den Schreibtisch hocken. Zehn Sekunden später als sie eine Taschenlampe anknipste kauerten beide Verkäuferinnen unter dem Schreibtisch, während meine Freundin und ich nicht so richtig wussten was mir machen sollten.

Meine Freundin rollte mit den Augen:
I grew up in Florida and we never freaked out like this just because of a Tornado.

Hmmm, I am a little worried that the desk might collapse above my head. erwiderte ich.

No, the desk is sturdy. meinte die Verkäuferin und wackelte an dem Schreibtisch, der dabei ein lautes und sehr beunruhigendes Knacken von sich gab.

Thanks, we're fine.
Meine Freundin und ich nahmen auf dem Boden vor dem Schreibtisch Platz, wo wir die nächsten Stunden verweilen sollten. Da der Strom ausgefallen war und sich in dem fensterlosen Büro alles andere nur keine Batterie für das Radio befand, hatten wir auch keine Ahnung, ob die Wetterlage sich veränderte. Über die Handys wurden wir durch die Mütter der Verkäuferinnen und die Security Guards darüber informiert, dass bereits ein Tornado in der Nähe eingeschlagen hätte und sich noch weitere auf dem Weg zu uns befänden.

Was mich an Amerikanern ja immer wieder sehr beeindruckt, ist, dass sie in jeder Situation Small Talk machen können. IN JEDER SITUATION. Das sieht ungefähr so aus:

Verkäuferin: So, where are you guys from?

Freundin: Germany.

Verkäuferin: Oh, interesting. If the storm sounds like a fright train coming right at us, I want you all to cover your heads. So, hmmm Germany. So what brings you to the states?

Alles klar. Und da sagen die Leute immer, Amerikaner wären oberflächlich. Wie die nur darauf kommen...???

Nachdem wir schon über eine Stunde in besagtem Büro saßen, haben wir auch mal den East Side Guy ans Telefon bekommen, der uns freundlicherweise über die Wetterentwicklung auf dem Laufenden hielt: Wir befanden uns mitten zwischen mehreren Tornados, es sollte demnächst auch bei uns hageln und die Polizei hatte fast alle Straßen in der Umgebung wegen Überflutungen gesperrt. Aufgrund der aktuellen Wetterlage und meines Fahrstils (völlig überflüssige Bemerkung seinerseits) würde er uns doch raten, irgendwo in Deckung zu bleiben und nicht nach Hause zu fahren...

Eine Stunde später waren wir zu Hause.

Die Läden hätten eh nicht mehr geöffnet, so dass uns im Prinzip nichts mehr in der Mall hielt. Außerdem waren die Chancen größer in dem winzigen Büro von einer herabfallenden Kiste erschlagen zu werden, als auf offener Landstraße von einem Tornado getroffen zu werden.

Um es also noch mal ganz deutlich zu sagen: Mir geht es gut, mein Haus ist weder überflutet noch weggeweht und außer ein paar silbernen Sommersandalen, die mir zumindest heute vergönnt blieben, fehlt mir absolut nichts.

5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Eine Leidensgenossin! Bin eben auf das Blog hier gestoßen und werde mich mal vermehrt hier rumtreiben hehe.

Diese Tornadowarnungen werden langsam wirklich lästig, besonders wenn man Fußball sehen will und diese furchtbar lauten messages eingeblendet werden. Das is ja schön, dass Dodge County gerade wieder mal kaputt geht, aber ich will hören wie Polen verliert.

Allerdings muss ich sagen, ich bin schockiert wie lax man hier mit der Gefahr umgeht nur weil sie damit aufwachsen. Gefährlich is so ein Tornado ja nun mal und kostet Dich im schlimmsten Fall Haus und Leben, ich musste allerdings neulich meinen Mann und seine Freunde überrreden, nicht den geek store zu verlassen und nach Hause zu fahren nachdem eben angesagt wurde, das Zentrum des Sturms zieht nun gleich exakt über sie und Golfballhagel wird folgen. Da bin ich noch Deutsch und vorsichtiger.

Nikki hat gesagt…

Herzlich Willkommen, Weirdofromupstairs!
Ja, ich stimme zu: Tornados koennen ganz schoen gefaehrlich sein. Das Buero, in dem wir stundenlang sassen, war allerdings noch gemeingefaehrlicher. Der Wind haette nur etwas staerker ruetteln muessen und uns waere die Lampe auf den Schaedel geknallt. So richtig sicher waren wir da also auch nicht. Aber es haette ja noch schlimmer kommen koennen: Wenn wir in einem Haushaltswarengeschaeft festgesteckt haetten, waeren uns wahrscheinlich Messer um die Ohren gesaust. :o)

nachtwache hat gesagt…

Hello once again. Vacation seems to leave me with even less time to read blogs! Your weather is extreme! We just get lots of rain, here in the 'northern rain forest', the last two days we had a bit more sun, the heat is still on in the house!
Our grandson keeps me busy too, but I love spending time with him!

Nikki hat gesagt…

Hello Nachtwache,
good to hear from you again. I saw a picture of your grandson on your blog. He is really cute!

nachtwache hat gesagt…

Thank you! He's sweet too, I'm smitten ;)